Category : Großensee Forschung

Holzwürmer

Der Jahresanfang steht eigentlich im Zeichen eines nahenden Projektabschluss. Doch was soll man machen, wenn sich immer wieder neue Fragen und auch Antworten auftun? Offen ist immer noch die Frage, ob die Wracks am Ostufer wirklich zum Befund gehören. Ich frage bei dem bis heute existenten Angelverein an. Die Unterlagen der Pachtübernahme sind bei einem Feuer vernichtet worden. Doch glaubt man, seit jeher mit eigenen Booten unterwegs gewesen zu sein. Auch im Amtsarchiv Trittau liegen keine Verträge mehr vor.

Ritsch Ratsch
Also müssen wir Holzproben nehmen. Das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein gibt uns einmal mehr sein Okay. Zuerst wähle ich die Proben aus. Wrack No. 3 kommt nicht in Frage. Die Hölzer haben nicht die nötige Stärke. Wrack No. 4 hat ein großes Kantholz im Verbund. Das könnte klappen. Bei dem Einsatz unterstützt ein langjähriger Kollege vom Rügener Archäologieverein. Bewaffnet mit Hammer, Nägeln und Sägen steigen wir ins 4° C kalte Wasser. Präzises Arbeiten ist mit Neopren unmöglich. Also runter mit den Handschuhen …

Der Klotz im Bad
Hölzer, die aus dem Wasser geborgen werden, sind sehr empfindlich. Wir markieren die Probe doppelt mit Schildern und Messing-Nägeln, da diese dem Holz am wenigsten zusetzen. Kaum geborgen wird das Holz in Frischhalte-Folie eingeschlagen. Anschließend verschwindet es in einer mit Wasser gefüllten Wanne in einer dunklen Ecke des Badezimmers. Sehr zum Missfallen meiner Freundin – aber da muss sie jetzt durch 😉

Der Herr der Ringe
Vor einigen Jahren hatte ich für eine Analyse das Institut für Holzwissenschaft der Uni Hamburg bemüht. Der Dendrochronologe Prof. Dr. habil. Peter Klein ist zwar heute nicht mehr im Dienst, bietet aber weiterhin seine Hilfe an. Ein Glück, denn solche Koryphäen werden immer seltener. Sein geschulter Blick erkennt auf Anhieb: „Das ist Eiche“. Der sympathische Experte holt Lupe und Rasierklingen hervor und kratzt sich durchs Holz. Obwohl ich schon den dicksten Klotz des Wracks ausgewählt habe, weist das Holz „nur“ 26 Jahrringe aus – zu wenig für eine dendrochronologische Analyse.

Eine weitere Beprobung erfordert das Freilegen der Grundstrukturen und Entnahme von Bodenhölzern. Diese Maßnahme bedeutet die massive Zerstörung des Wracks. Ja, Archäologen machen vor allem kaputt. Aber dieser Schritt steht für mich in keinem Verhältnis zum möglichen Ergebnis. Die Untersuchung Ostufer-Wracks ist hiermit abgeschlossen.

Dritte Dimension

Ich bin immer wieder verblüfft, wie das Großensee-Projekt erstklassige Dokumentations-Akteure anzieht. Im März 2022 besucht uns der ambitionierte 3D-Dokumentator Holger Buss. Mit seinem eigens entworfenen Kamera-Rig misst er sämtliche Befunde an einem Tag ein. Schon einige Stunden später laufen die ersten 3D-Modelle über den Plotter …

Zauberstab
Normalerweise geht Holger Buss mit den Gezeitentauchern auf Nordsee-Exkursion. Wir haben den Experten für 3D-Wrack-Modelle für unser Museums-Konzept kontaktiert. Prompt bietet Holger an, sämtliche Objekte noch einmal im „Structure from Motion“-Verfahren nach seiner entwickelten Methode aufzunehmen. Mit einem eigens konstruierten Alu-Gestänge, bestückt mit vier GoPros und Beleuchtung, tauchen wir ab. Die Einsätze an den Wracks 1 und 2 dauern je etwa 10 Minuten – dann ist alles im Kasten. Genug Zeit also, auch die übrigen Objekte aufzunehmen. Tatsächlich klappern wir an einem Tag alle Wracks ab – inklusive der Badewanne.

Plotter
Holger schmeißt sofort seinen Prusa i3 MK3s Plotter an und sendet schon 3D-Bilder, bevor mein Anzug überhaupt trocken ist. Sämtliche Modelle – sogar die Badewanne – erscheinen dreidimensional auf meinem Bildschirm. Holger druckt sämtliche Objekte und schafft mit Pinsel und Acrylfarbe fantastische Real-Dioramen. Der Clou: Er dokumentiert unseren Einsatz mit gescannten Taucherfiguren. Bei der Colourierung stimmt sogar die Farbe der Beintaschen. Ich liebe Nerds 😉

Museumsreif
Wenige Wochen später treffen wir uns in Wilhelmshaven. Diesmal zeigt mir Holger seine Tauchspots – und übergibt mir die Modelle der Großensee-Wracks. Ich bin mehr als beeindruckt. Da wird das Dorfmuseum Stormarn aber Augen machen.

Projektstart 2022

Kanalfahrt
Im Februar 2022 kehren wir zurück in den See. Bei 4° C Wassertemperatur erhoffen wir uns einigermaßen brauchbare Sichtverhältnisse im knapp 10 m tiefen „Kanal“ zwischen dem Seeredder und der Insel. Wenn noch irgendwo ein Wrack zu erwarten ist, dann im Bereich der vermuteten einstigen Dorf-Anlandung. Mit Jens-Uwe Lamm passiere ich die Strecke zweimal und wir suchen beide Ufer ab. Der Scooter kommt aber nicht zum Einsatz – außer dem üblichen Zivilisationsmüll ist hier nichts zu finden.

In Situ
Anschließend halten wir am Waldweg. Die Gemeinde unterstützt den Einsatz mit einem exklusiven Parkrecht. Wir wollen die Ostwracks noch einmal genauer in Augenschein nehmen. Das Archäologische Landesamt hat uns die Genehmigung zur Entnahme von Dendro-Proben erteilt. Schnell erkennen wir, dass Wrack No. 3 nicht beprobt werden kann. Die Hölzer sind schlicht zu dünn. Anders Wrack No. 4. Die gut erhaltenen Steven sind nicht nur zu schön zum Absägen, sie enthalten auch scheinbar zu viel Eisen. Aber ein großes Kantholz auf der Steuerbordseite könnte ausreichend Jahresringe liefern. Gleichzeitig fängt Jens das Wrack noch einmal mit der Kamera ein und aktualisiert das entsprechende Video.

In Vitro
Am nächsten Tag treffen wir uns im Dorfmuseum Stormarn. Unsere Vorschläge zur Ausstellungsgestaltung kommen gut an. Auch eine mögliche Vernissage wird diskutiert. Die Museumsleitung ist von der Dokumentationsqualität sichtlich angetan. Dabei haben wir noch ein weiteres Ass im Ärmel…

Grot un Lütt

Seeredder
Wie geht es weiter mit den Wracks im Großensee?
Nachdem die Dokumentationen der beiden Fischerkähne abgeschlossen ist, haben wir uns die Funde am Ostufer vorgenommen. Laut der historischen Bestandsliste sollen zum Fischereibetrieb noch ein Prahm und eine Jolle gehört haben. Es ist nicht auszuschließen, dass wir beide Boote gefunden haben. Laut der Chronik sollen sie zum Übersetzen an Land – der Fischer wohnte bis ins 19. Jhd. auf der Insel –  an einen „Seeredder“ gedient haben. Anfragen bei verschiedenen Ämtern haben keine Ergebnisse geliefert. Eine Straße dieses Namens scheint es in Großensee nie gegeben zu haben. Aber was ist ein Redder eigentlich? Laut Wikipedia bezeichnet Redder einen Weg, der beidseitig von einer Hecke oder einem Knick begrenzt wird. Der Begriff ist vor allem für die Region Schleswig-Holsteins typisch. Diese Beschreibung passt zu dem Weg, in den die Straße „Am Soll“ mündet. Wer mit an der Insel tauchen war, weiß welchen ich meine. Diesen könnte man tatsächlich als Redder bezeichnen. Und: Er verbindet den See mit dem Dorfkern! Dieses Rätsel scheint also gelöst.

Aber wie kommen Wrack 3 und 4 dann ans Ostufer? Der Fischer ist nach Aufgabe des Insel-Domizils nachweislich an den Pfefferberg gezogen. Auf eben jenes Grundstück von dem aus wir die Arbeiten durchgeführt haben. Ob die Wracks überhaupt zum Befund gehören kann jetzt nur eine Dendro-Untersuchung klären. Ein entsprechender Antrag ist beim Archäologischen Landesamt eingegangen.

Lüttensee
Zur Pachtmasse der Fischerei hat seit jeher auch der benachbarte Lütjensee gehört. Um diesen zu befischen gab es einen weiteren, dritten Kahn. Liegt dieser vielleicht immer noch dort? Um eine Suche zu starten, muss der Standort ermittelt werden. Eines der Fischrestaurants ist naheliegend. Der „Seehof“ ist erst 1946 gegründet worden – 11 Jahre nach Aufgabe der Fischerei. Er kommt also nicht in Frage. Bleibt die „Fischerklause“. Hier sind sämtliche Anfragen zu historischen Quellen bislang unbeantwortet geblieben.


Nicht verzagen, Bürgermeister fragen. In einem kleinen Dorf ist das ja nicht so schwer. Und so hat mir Frau Ulrike Stentzler nicht nur zugesagt, einen Kontakt zur Eigentümer-Familie herzustellen, sondern mir freundlicherweise auch eines der letzten Exemplare der nicht mehr erhältlichen Lütjensee-Chronik zur Forschung übergeben. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank!

Stormarn-Museum
Viele Monate war das Dorfmuseum Stormarn wegen Corona geschlossen. Bei einem Besuch im November dann die Bestätigung: Die Fundstücke der 2012er-Kampagne befinden sich tatsächlich in Hoisdorf. Im Raum der Alfred-Rust-Sammlung schmückt auch der Großensee eine Vitrine. Der Leiter des Museums ist sehr interessiert an unseren Arbeiten und möchte sie in seine Ausstellung integrieren. Der erste Schritt zur Unsterblichkeit? 😉 Ein Konzept zur Integration unserer tollen Fotos, Filme und Zeichnungen wird gerade entwickelt.

Das Stormarnsche Dorfmuseum ist für alle Heimatkunde Interessierten auf jeden Fall einen Besuch wert – es hat Dienstag von 09 – 12 Uhr und Samstag von 14 – 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos.

Sprenger Weg 1
22955 Hoisdorf

Allem Anschein nach ist die Geschichte Großensee noch lange nicht zuende erzählt.
Schauen wir mal, was wir als nächstes hervorholen …